Seit ich im November 2019 meinen Aufhebungsvertrag bei Siemens unterschrieben habe, höre ich öfter von Freunden: „Mensch Sabine. Und jetzt tust Du einfach mal nichts und nimmst Dir Zeit für Dich! Mach Dir keinen Kopf. Es findet sich dann schon, was du machen wirst.“
Seit dem bin ich auf der Suche danach, wie es geht nichts zu tun. Ich glaube, ich kann es einfach nicht. NICHTS TUN.
Seit ich auf der Welt bin, tue ich immer irgend etwas. Meine Eltern guckten Menschen, die „nichts taten“ schief an. Und hatten auch immer einen Spruch parat. „Der macht ja gar nichts gerade. Das geht nicht!“ Du mußt Geld verdienen! Der liegt auf der faulen Haut!“
„Also, Deine Großeltern, seit die in Rente sind, lassen sie sich echt gehen. Stehen morgens nicht mehr pünktlich auf und bleiben einfach im Bett liegen. Ein Lotterleben! So wird das nichts!“
Ich tat in der Schule, nachmittags in diversen Sportvereinen, am Wochenende auf Wettkämpfen. Ich machte Abi, dann tat ich eine Ausbildung machen. Nach der Ausbildung arbeitete ich sechs Monate und fing dann parallel zu meinem 40 Stunden Job ein Abendstudium an. Ich tat ganz viel.
Irgendwann wechselte ich in eine Unternehmensberatung und tat von nun an arbeiten und reisen. Viel reisen. Ich bekam sogar den ersten Preis in der Unternehmensberatung-für die Beraterin mit der höchsten Auslastung.
Irgendwie scheint es als jagten mich die Statements meiner Eltern. Ich tat alles dafür, damit sie mich nicht einholten. Ich tat ununterbrochen.
Dann kamen die Kinder. Mit, für, wegen der Kinder tun geht immer. Ich tat auf der Arbeit und tat für die Kinder.
Zwölf Tage nach der Geburt meines zweiten Kindes traf mich der Schlag. Mit ihm die Diagnose einer seltenen Krankheit. Die Ärzte taten mit mir. Und zwar eine Operation, um mir zwei Bypässe in den Kopf zu legen. Damit ich keine weiteren Schlaganfälle bekomme. Nach dem Schlaganfall und den OPs tat ich aber auch nicht nichts. Das geht ja nicht.
AUF DER FAULEN HAUT LIEGEN! GUCK DIR DIE AN, SABINE! DAS MACHT MAN NICHT!
Ich tat von der Intensivstation aufstehen und dann tat ich, was man eben so tut mit einer Neugeborenen und einer Dreijährigen. Jedenfalls nicht nichts. Dafür tun die Minikinder schon alles, dass ich nicht nichts tue.
Naja, ich verlängerte meine Elternzeit, krankheitsbedingt. Und schlaganfallbedingt.
Dann aber, dann wollte ich es richtig wissen. Ich tat alles dafür, damit mir niemand nachsagen konnte, dass ich nichts tue. Ich wechselte den Job, nahm eine Vollzeitstelle an und tat fortan vollzeit auf der Arbeit und vollzeit nachmittags mit den Kids. Ich tat im Haus und tat, so gut es ging, den Vater meiner Kids in seiner Karriere zu unterstützen. Er tat oft nach Amerika fliegen.
Das ganze tat sich gut an. Ich tat viel und so taten meine Chefs das Nötige, damit ich Chef wurde. Das tat mir gut! (Dachte ich)
Ich tat also meine Mitarbeiter bespaßen (delegieren heißt ja auch nichts tun, ODER?)
Ich tat ein extra Projekt annehmen. Alle sollten sehen, dass ich viel tue. (Das war wohl eher ein unbewusster Vorgang in mir.)
Irgendwann tat mein Körper Schmerzen. Und zeigte so, dass er zu viel tut. Das tat mir nicht schmecken. Und ich sammelte alle Kraft, um weiter zu tun. Das alles endete im nichts mehr tun können. Burnout. Schwere Depressionen und Angst. Gemischt. Depressionen schwinden vom Nichtstun selten oder sehr langsam. Also tat ich Psychotherapie. Der Therapeut sagte: „Sie müssen nichts TUN. Sie dürfen auch einfach nur SEIN.“
Nach einem Jahr tat ich wieder arbeiten wollen. Ich tat mich schwer damit. Wollte gleich wieder volle Pulle ganz viel tun auf der Arbeit.
Das tat nicht funktionieren. Ich kam einfach nicht in den Flow. Ich tat mich schwer mit dem Arbeiten. Und mit meiner Umgebung auf der Arbeit, die mir sagte, was zu tun sei. Ich hatte ZU TUN Listen. Und ich hatte das TUN-Trauma. Es hatte mich fast auf dem Boden zerschmettert. Zweimal. Ich tat das einzig gesunde und für mich richtige. Ich tat eine Entscheidung und tat kündigen.
Jetzt: Neues Umfeld, gleicher Scheiß. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich etwas zu tun suche. Ich habe für den Moment die absolute Freiheit erlangt. Ich habe Zeit und Geld.
Was mache ich damit? Ich suche etwas zum Tun. Wuuua!
Verschiedene Freunde sagen mir: Entspann Dich, Sabine. Tu einfach mal nichts oder nur das, was Dir Spaß macht.
Ich probiere es jeden Tag von neuem. Immer wieder konzentriere ich mich darauf, nur das zu tun, was mir Spaß macht und mir gute Energie gibt. Das ist mein Traum. Genau so möchte ich zukünftig meinen Lebensunterhalt verdienen.
Damit das alles etwas Gutes tut, hier meine Erkenntnis:
Das Zeug, was wir aus der kindlichen Prägung mitbringen ist verdammt hartnäckig. Es braucht sehr viel Aufmerksamkeit, um zu erkennen, wann wir in alte Muster absteigen oder Bilder leben, die uns andere in den Kopf gepflanzt habe. Lebenslange Aufmerksamkeit. Für die lebenslange Aufmerksamkeit in Eurem Leben solltet ihr alles TUN!
Wer bist Du? Was kannst Du? Was willst Du?
Dieser Text ist zuerst bei LinkedIn erschienen.